Schlussbericht

KUNST: HIER UND JETZT

Es hat stattgefunden, das Theater Spektakel 2020, in der zweiten Hälfte August, wie immer. Mit einem Programm, das grossartige internationale Kunst, eine Fülle innovativer Formate und 16 Weltpremieren umfasste. Das ist nicht selbstverständlich. Das Theater Spektakel ist eines der wenigen internationalen Festivals für Performing Arts, das diesen Sommer nicht abgesagt wurde. Der Entscheid, es durchzuführen, war nicht ohne Risiko. Würde es gelingen, das Festival mit seiner 40-jährigen Tradition und seiner spezifischen Atmosphäre, das jeweils über 150 000 Menschen anzog, an die aktuellen Verhältnisse und Reisebeschränkungen anzupassen, es zu verändern, ohne dass es an Attraktivität verliert? Ungewiss waren auch die Erfolgsaussichten des Programms: Wie würde das Publikum auf die Vielzahl von ungewohnten, in kürzester Zeit entstandenen, corona-tauglichen Formate mit Abstandsregeln und teilweiser Maskenpflicht reagieren? Würden sie sich zum Radioballett versammeln? Sich während einer Schifffahrt ein Audiofile anhören? Würden Sie Strassenkunst in den Quartieren anschauen? Bei einer Pandemie-Simulation mitspielen? Würden sie auf die Landiwiese kommen, wo es viel Kunst, wenig Spektakel und gar kein Gastroangebot gibt?

«William Kentridge ist auf der Landiwiese einer der dafür zuständigen Botschafter dieses Zürcher Theaterspektakels, das es in einer Form gibt, die sich selbst übertrifft: Dieser Jahrgang ist der Jahrgang, an den man sich erinnern wird.» NZZ 15.8.2020 | Foto: ZTS/Kira Barlach

Um es kurz zu machen: Sie kamen, sie schauten, sie nahmen teil, mit einer Offenheit, einer Neugier und einer Bereitschaft, sich auf Unbekanntes einzulassen, die das Theater Spektakel-Publikum seit je auszeichnet. Sie machten sich auf, Kunst dort zu begegnen, wo es unter den gegebenen Umständen möglich war: auf dem Schiff, am Telefon, auf öffentlichen Plätzen, im Internet, in einem gezeichneten Fernsehstudio oder aus der Vogelperspektive am Strand. Sie bewegten sich auf der freien, nur mit grossformatigen Installationen von William Kentridge, Tim Etchells und Shilpa Gupta bespielten Landiwiese, die gleichsam Bühne war für drei starke künstlerische Behauptungen. Und sie liessen sich nieder auf der Wiese zu den Collective Listenings, bei denen man gemeinsam mit anderen unter dem Sternenhimmel auf Picknickdecken eigens für das Theater Spektakel kreierten Hörstücken lauschte.

Collective Listening to the Radio auf der Landiwiese | Foto: ZTS/Christian Altorfer

Das Erleben von Gemeinsamkeit in ganz verschiedenen Formen und Formaten zog sich wie ein roter Faden durch das Programm: Sei es beim gemeinsamen Suchen nach wirksamen Schutzmassnahmen in der Pandemie-Simulation «Virus» von Yan Duyvendak, beim Umsetzen der choreografischen Anweisungen im Radioballett «Zerstreuung überall» von LIGNA; sei es beim Public Viewing der Cartoon-Lecture-Serie «Zombie TV» von Bronfen, Weber Rickenbach, Böhmer & Huber in einem Gemeinschaftszentrum oder im Fundus Theater auf der Saffainsel, wo Kinder ganz unter sich über die Zukunft nachdachten, oder bei der dreitägigen Online-Konferenz «How to Be Together», an der international renommierte Künstler*innen und Kulturschaffende aus der ganzen Welt auf dem Hintergrund der aktuellen Pandemie-Situation ihre Erfahrungen, ihre Ideen und Visionen teilten und austauschten.

Mit seinem vielfältigen Angebot von neuen Möglichkeiten, Kunst gemeinsam zu erleben, ist dem Theater Spektakel 2020 quasi ein Dreisprung gelungen: Es hat Künstler*innen aus der ganzen Welt eine Plattform gegeben, ihre Werke trotz Reisebeschränkungen in analoger Form einem Publikum zu präsentieren, es hat mit innovativen Formaten und künstlerischen Experimenten einen wichtigen Schritt gemacht, die Festivalidee neu zu denken, und es hat dem Bedürfnis eines interessierten Publikums nach möglichen Formen der Begegnung mit Kunst entsprochen.  Das belegt nicht zuletzt die Auslastung.

«VIRUS» von Yan Duyvendak, Kaedama & Dr. Philippe Cano | Foto: ZTS/Kira Barlach

ZAHLEN & FAKTEN

Das Programm umfasste 177 Veranstaltungen, davon waren 115 kosten- oder anmeldepflichtig. Gebucht wurden total 6000 Tickets oder Platzreservationen. Die Veranstaltungen, für die ein Ticket oder eine Anmeldung nötig waren, weisen eine durchschnittliche Auslastung von über 86 % aus (2019: 87 %). Das gilt für internationale renommierte Projekte wie die Oper-Performance «Sun & Sea» über die Klimakatastrophe mit insgesamt 39 Vorstellungen ebenso wie für die drei intimen Ortsbegehungen zur Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz der Gruppe ké*sarà oder die Rundgänge durch die transnationale Musiktheater-Videoinstallation zum Rohstoffabbau im Kongo von Elia Rediger und Dorine Mokha.  

Zu den Spitzenreitern mit einer Auslastung von deutlich über 90 % gehörte das Collective Listening mit den «Songs und Stories in the Summer of Covid» von Laurie Anderson, die Telefonperformance «Body of Knowledge» mit Jugendlichen der australischen Theatermacherin Samara Hersch, die Late Night Show von Fatima Moumouni & Laurin Buser, die Ortsbegehungen im Rahmen von «Schwarzenbach-Komplex» von ké*sarà und nicht zuletzt die Opern-Performance «Sun & Sea» des litauischen Künstlerinnentrios Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė & Lina Lapelytė. Unter den Erwartungen blieb überraschenderweise die Nachfrage bei den Kindertheaterproduktionen von Studio Orka und Fundus Theater.

Das grosse Interesse an den Programmangeboten im Stadtraum zeigte sich unter anderem in der Zahl jener, die die täglich erscheinenden Festival-News on Demand abonniert haben: 1700 Menschen liessen sich jeweils um 14 Uhr über die Auftrittsorte des DeZentral-Programms im Quartier, die Haltestellen der Installation von William Forsythe und weitere tagesaktuelle Specials informieren.

DeZentral mit Tripotes la Compagnie im Hunziker-Areal | Foto: ZTS/Christian Altorfer

DIGITALE PROGRAMMANGEBOTE

Die Festivalleitung hat sich bei der Gestaltung des alternativen Programms 2020 sehr bewusst entschieden, digitale Formate dann aufzunehmen, wenn damit neue künstlerisch Wege beschritten werden wie beim interaktiven Live-Programm von Jaamil Olawale Kosoko auf der Gaming-Chat-App Discord oder bei der Lecture Cartoon-Serie «Zombie TV» von Bronfen, Weber, Rickenbach, Böhmer & Huber, die allein 1200 Zugriffe verzeichnete. Die digitale Plattform wurde im Weiteren genutzt, um den postkolonialen Diskurs in der Reihe «Talking on Water» fortzuführen, und zwar mit einem Referat des renommierten Politologen Achille Mbembe und einem Gespräch der Künstlerin Zahy Guajajara mit dem Umweltschützer Ailton Krenak zum Widerstand der indigenen Bevölkerung im Amazonas-Gebiet.

Unter der Leitfrage «How to Be Together?» organisierte und kuratierte das Theater Spektakel zusammen mit dem Berliner Festival Tanz im August zudem eine dreitägige Online-Konferenz: Kunst- und Kulturschaffende aus der ganzen Welt diskutierten darüber, was die aktuelle Situation für die verschiedenen Akteur*innen des internationalen Kunstbetriebs bedeutet, stellten Ideen und Strategien vor und präsentierten künstlerische Experimente und Lösungsansätze. Das Angebot stiess auf reges Interesse: Rund 1500 Mal schalteten sich Interessierte zu einem der sieben Panels zu, 600 davon nahmen aktiv via Zoom teil.

Ergänzt wurde das Live-Angebot mit On-Demand-Inhalten, etwa der Reihe «Hold on», die Beiträge von Künstler*innen, die dieses Jahr nicht anreisen konnten, präsentiert.

Elisabeth Bronfen in «Zombie TV» | Foto: ZTS/Christian Altorfer

INKLUSION: WIR BLEIBEN DRAN

Auch bei dieser speziellen Ausgabe des Theater Spektakels war es dem Leitungsteam ein Anliegen, dass Menschen mit Behinderungen die Veranstaltungen besuchen können, und zwar möglichst ohne Barrieren und Hindernisse. So wurden im Programmbereich mehrere Vorstellungen von «Sun & Sea» mit Audiodeskription für Menschen mit einer Sehbehinderung angeboten. Ausserdem wurde das inklusive Angebot erweitert: Mit der Spoken-Word Performance von Jurczok 1001 & Michael Fehr und dem Auftritt der Hora’band wurden erstmals zwei Konzerte in Gebärdensprache übersetzt.

PARTNERSCHAFTEN UND UNTERSTÜTZUNGEN

Die unter sehr besonderen Bedingungen entstandene Ausgabe des Zürcher Theater Spektakels wäre nicht möglich gewesen, ohne die finanzielle, ideelle und materielle Unterstützung der nachstehenden Institutionen, Firmen und Organisationen. Ein ganz besonderer Dank geht an unsere langjährigen Partner Zürcher Kantonalbank, Swiss Re und Kanton Zürich sowie dem Medienpartner Tages-Anzeiger, die spontan, grosszügig und unkompliziert ihre Unterstützung auch für ein Alternativprogramm zusagten.

Mit einem substanziellen Beitrag haben sich als weitere Partner die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA, die Ernst Göhner Stiftung, der Gönner*innenverein des Theater Spektakels und die Rote Fabrik engagiert. Ein ganz spezieller Dank geht an die Stadtentwicklung Zürich: Als Programmpartnerin hat sie im Rahmen von «Zürich meets your City» die Präsentation der mobilen Installation «City of Abstracts 2020» von William Forsythe ermöglicht.

Im Weiteren haben folgende Institutionen mit grosszügigen Beiträgen zur Finanzierung des Festivals (Budget: 3,6 Mio. Franken) beigetragen: Ars Rhenia, Max Kohler Stiftung, Fachstelle Integration Kanton Zürich, Migros Kulturprozent, Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes, Stiftung Denk an mich und Stiftung für Radio und Kultur Schweiz. Grosszügiges Sachsponsoring leisteten die Firmen KIBAG AG, Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft und Verkehrsbetriebe Zürich.

Ihnen allen und den vielen weiteren Firmen und Hotels, die das Festival mit materiellen und logistischen Leistungen unterstützten, dankt die Festivalleitung sehr herzlich.

William Forsythes choreografisches Objekt «City of Abstracts 2020» am General-Guisan-Quai | Foto: ZTS/Christian Altorfer