Es war knapp. Ziemlich knapp. Am 7. Juni 1970 stimmten die Schweizer Männer über die sogenannte «Überfremdungsinitiative» ab, eingereicht von James Schwarzenbach von der Nationalen Aktion gegen Überfremdung von Volk und Heimat. Die Stimmbeteiligung war mit 75 % so hoch wie selten. Mit 54% Nein-Stimmen wurde die Initiative abgelehnt. Das hiess aber auch: Fast die Hälfte der Stimmbürger waren dafür, dass der Anteil von Menschen ohne Schweizerpass in der Schweiz auf 10 Prozent beschränkt werden soll und gut 300 000 Menschen das Land hätten verlassen müssen. Die Initiative war damit zwar vom Tisch, nicht aber das Thema von der politischen Agenda. Vielmehr markiert die Überfremdungsinitiative den Anfang einer rechtspopulistischen fremdenfeindlichen und ausgrenzenden Politik, die unter anderem in den Initiativen der SVP ihre Fortsetzung bis heute findet.
Die Arbeitsgemeinschaft ké*sarà, gegründet vom Sozialanthropologen Rohit Jain, dem Theaterschaffenden Tim Zulauf und der Historikerin Paola De Martin, nimmt das Jubiläum der Schwarzenbach-Initiative zum Anlass für ein künstlerisch-ethnografisches Langzeitprojekt, mit dem sie an die lange Tradition der Fremdenfeindlichkeit und des strukturellen Rassismus in der Schweiz erinnern wollen. Beispiele dafür lassen sich mit Leichtigkeit finden: Sei es das unmenschliche Saisonnier-Statut, das den Familiennachzug verbot, seien es die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen im Baugewerbe, die Baracken, in denen die Gastarbeiter*innen untergebracht waren, oder die unverhohlene Ablehnung ihrer Lebensart, die heute in der alltäglich gelebten Italianità gerne vergessen wird.
ké*saràs bis 2021 angelegtes Projekt für eine «rassismuskritische Erinnerungspolitik in der Schweiz» ergeht sich nicht in Appellen, sondern macht in einem ersten Schritt mit Ortsbegehungen und persönlichen Begegnungen die immanenten rassistischen Strukturen der jüngeren Schweizer Geschichte sinn- und augenfällig. Persönliche Erinnerungen und Berichte von Menschen mit Migrationserfahrung aus den 60er- und 70er-Jahren holen das Damals in die Gegenwart, und, ergänzt mit den Erfahrungen von Vertreter*innen einer jüngeren Migrationsbewegung, verdichten sie sich zu einer neuen migrantischen Geschichtsschreibung. Unter dem Stichwort «Räume erinnern» hat sich das Projektteam für den Start geschichts- und emotionsträchtige Orte ausgesucht, die für die Arbeitsmigrant*innen eine wichtige Rolle spielten: das Ristorante Cooperativo und den Punto d’Incontro, Versammlungsorte der politisch organisierten Gegenkultur, die Libreria Italiana, die ein Stück Heimat umfasste. Im Blauen Saal im Volkshaus schliesst der erste Teil des Projekts vorerst mit einem grossen vielstimmigen Erinnern von Zeitzeug*innen und Gästen. (esc)
Konzept | Rohit Jain und Tim Zulauf in Zusammenarbeit mit Paola De Martin, Catia Porri, Guido Henseler und Norm, Zürich |
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Beiträge von | Rosanna Ambrosi, Salvatore Di Concilio, Kijan Espahangizi, Pino Esposito, Francesca Falk, Letizia Fiorenza und David Sautter, Marina Frigerio, Fatima Moumouni, Melinda Nadj Abonji, Catia Porri, Lisetta Rodoni, Samir, Maria Satta, Raffy Spilimbergo, Maria-Angeles Tinari-Cueto, Victor Tinari , Henri-Michel Yéré u.a. |
Bild | Italienische Gastarbeiterinnen bei Lindt & Sprüngli (1970). Keystone/Photopress-Archiv/ Dejaco |
Koproduktion
Begehung 1:30 Std., Versammlung 2:15 Std.
Deutsch und Schweizerdeutsch
via Ticketing (siehe unten)
Bei den Begehungen kann der minimale Abstand nicht gewährleistet werden. Es muss eine Maske getragen werden.
Der Punto d Incontro (Begehung vom Do 20.8.) befindet sich im ersten Stock; es hat keinen Lift.
Die Veranstaltungen am Theater Spektakel werden unterstützt von der Fachstelle Integration Kanton Zürich